WELCHEN EINFLUSS PATIENTEN AUF DIE ZUFRIEDENHEIT VON ÄRZTEN HABEN

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Ein Interview mit Herrn Dr. Schmidt-Troschke vom Bürger- und Patientenverband Gesundheit Aktiv e.V. über die Dreiecksbeziehung von Arbeitsbedingungen, Patienten und Ärztezufriedenheit.

Treatfair hat sich auf die Fahnen geschrieben, Transparenz für Mediziner zu schaffen. Aber nicht nur Ärzte sollen durch verbesserte Arbeitsbedingungen profitieren, sondern auch Patienten. Deshalb spricht sich Treatfair ebenfalls dafür aus, Medizinern mehr Zeit für den Patientenkontakt zur Verfügung zu stellen. Durch den hohen ökonomischen Druck müssen Ärzte vielerorts mehr Patienten in weniger Zeit behandeln. Dabei entsteht für Ärzte das Gefühl ihren Patienten nicht gerecht werden zu können. Patienten wiederum erleben, dass Mediziner sich zu wenig Zeit für sie nehmen. Frustration auf beiden Seiten ist die Folge.

Wir haben mit Dr. Stefan Schmidt-Troschke, Pädiater und geschäftsführendem Vorstand des Bürger- und Patientenverbandes GESUNDHEIT AKTIV e.V. über die Wechselwirkung von ärztlichen Arbeitsbedingungen und Patientenversorgung gesprochen. Es gibt vermutlich nicht viele Menschen, welche die jeweilige Perspektive von Patienten und Ärzten so gut und unmittelbar kennen wie er, kann er doch auf eine langjährige Tätigkeit als Sprachrohr der Patienten und als klinischer Arzt zurückblicken.

Welche Auswirkung haben die aktuellen ärztlichen Arbeitsbedingungen auf Patienten und wie wichtig ist dabei der Faktor Zeit?
Medizin ist eine Vertrauenssache. Es ist nicht nur eine Frage des technischen und theoretischen Könnens. Als Patient wünsche ich mir einen Arzt, der sich für mich zuständig fühlt, der Verantwortung übernimmt. Es stellt sich die Frage, kann ich mich als Patient dieser Person anvertrauen? Zeit ist die Basis, um Vertrauen aufbauen zu können. Insofern wünsche ich mir als Patient, dass Strukturen geschaffen werden, in denen Ärzte ausreichend Zeit für die Patientenbehandlung haben.

In einigen Situationen haben Ärzte verschiedene medizinische Optionen. Manche Ärzte verengen die folgende Behandlung aber wegen der knappen Zeit auf die Option, die ihnen selbst die nächste ist, ohne die weiteren Möglichkeiten mit dem Patienten zu besprechen. Eine informierte Entscheidung gemeinsam mit dem Patienten zu treffen, erfordert Zeit, Zuwendung und ein Verständnis für die individuelle Situation des Patienten. Wenn das alles nicht da ist, verkommt Medizin immer mehr zu einer technischen Disziplin, in der Computer manche Arbeit vielleicht sogar genauer machen können.

Besonders ältere, multimorbide Patienten empfinden kurze Liegezeiten und die Effizienz im Krankenhaus als sehr verstörend. Sie können nicht nachvollziehen, was mit ihnen passiert. Ein ärztliches Gespräch kann diesem hilflosen Gefühl der Fremdsteuerung entgegenwirken. Zeit spielt hier eine ganz wichtige Rolle. Je kränker und abhängiger Patienten sind, desto schwerer fällt Zeit ins Gewicht. Sie hilft, dass Patienten sich mit einer Situation auseinandersetzen können und ermöglicht beispielsweise, dass sie vielleicht nochmal jemanden aus dem Kreis der Vertrauten um Rat fragen können.

Beeinflussen die aktuellen Arbeitsbedingungen auch die medizinische Versorgung der Patienten?

Ja. Ich glaube, die aktuell weit verbreiteten Arbeitsbedingungen bringen eine extrem standardisierte Arbeitsweise mit sich. Das führt meiner Ansicht nach dazu, dass der Freiheitsgrad in der Versorgung eingeschränkt wird. Manchmal entsteht der Eindruck, SOPs (standard operating procedures) dienen zur Vereinfachung der Abläufe und gar nicht der Versorgung der Patienten. Wenn das der Fall ist, werden Ärzte um ihre Kernmotivation betrogen, nämlich persönliche Hilfeleistung am Patienten erbringen zu wollen. Sie erleben einen Widerspruch zwischen ihren persönlichen Qualitätsansprüchen und ihren faktischen Möglichkeiten. Das bewirkt Stress und kann dann auch die Behandlungsqualität sehr negativ beeinflussen.

Sie haben gerade die Kernmotivation der Ärzte angesprochen. Inwiefern können Patienten auf Ärzte motivierend wirken?
Ich bin selbst Pädiater. Das ist ein sehr sinnerfüllter Beruf, weil die Eltern einem sehr dankbar begegnen und auch die Kinder selbst furiose und ehrliche Gegenüber sind. Aber auch bei Erwachsenen haben wir eine Chance, weil wir hilfsbedürftigen Menschen begegnen, denen wir glücklicherweise in vielen Fällen helfen können. Dadurch entsteht eine Situation, die Demut und Dankbarkeit hervorbringen kann. Und wer als Arzt sensibel und offen dafür bleibt, der kann sich nicht nur von seinem Beruf ernähren, sondern kann auch eine seelische Stärkung davon erfahren. Das ist ein einzigartiger Vorteil des Ärzteberufs und vieler anderer helfender Berufe. Aber der wird natürlich stark eingeschränkt durch die Bedingungen, unter denen die Arbeit stattfindet. Wenn ich den Patienten, den ich begonnen habe zu behandeln, danach nicht mehr sehe und die Effekte meiner Taten nicht erfahre, dann entsteht dieses Wirksamkeitserlebnis nicht mehr. Und das ist entscheidend für das ärztliche Selbstverständnis.

Patienten leiden also unter schlechten Arbeitsbedingungen. Unzufriedene Patienten wiederum sorgen für Unmut bei den Ärzten. Kann man also von einer Dreiecksbeziehung von Arbeitsbedingungen, Patienten und Ärztezufriedenheit sprechen?
So könnte man das sagen. Wichtig dabei ist, dass Arbeitsbedingungen ganzheitlich verstanden werden und nicht nur auf Arbeitsdauer oder Vergütung reduziert werden. Das fängt mit der Gestaltung des Arbeitsplatzes an bis hin zu den Bedingungen, unter denen die Sinnhaftigkeit der eigenen Arbeit erlebt werden kann.

Wichtig dabei ist auch das zugrunde liegende Verständnis von Medizin: Ist es humanistisch geprägt und hat es über die Naturwissenschaft hinaus noch eine soziale, eine psychische, eine spirituelle Dimension? Ich habe den Eindruck, diese Ebenen lassen sich zu wenig quantifizieren und werden dann durch die Ökonomie herausgemendelt. Die Folgen zeigen sich in den Arbeitsbedingungen.

Noch ein kurzer Ausblick. Was muss passieren, dass sich endlich eine Besserung einstellt?
Ich glaube, dass man bei dem, was gerade in den Krankenhäusern passiert, wirklich von einer humanitären Katastrophe sprechen kann, die zugedeckt wird mit frisch gestärkten Betttüchern. Das muss stärker in der Öffentlichkeit – also bei den Bürgern – ankommen. Ich bin der Überzeugung, dass die Veränderung wahrscheinlich weniger aus dem System selbst kommen wird. Bürger und Patienten spüren das, aber sie müssen für die Problematik noch wacher gemacht werden und da können Ärzte helfen. Sie müssen erklären, was da momentan passiert. Hierfür brauchen sie den Mut über die eigenen Arbeitsbedingungen zu sprechen und darüber, wie sie langsam aber stetig der Medizin ihre Humanität abgewöhnen. Ich glaube, dass es wichtig ist, dass in dieser Richtung etwas geschieht.

Daniela Lojko