NICHT ZU VIEL HOFFNUNG IN DIE POLITIK SETZEN

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Dr. Günther Jonitz, Präsident der Ärztekammer Berlin, spricht im Interview offen über seine Einschätzung, warum eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen von der Ärzteschaft ausgehen muss.

Sie beschäftigen sich schon sehr lange mit den ärztlichen Arbeitsbedingungen. Gab es hier einen Auslöser oder ein prägendes Erlebnis?
Zu Beginn meiner Arbeit als Assistenzarzt in der Chirurgie war gerade der Freizeitausgleich nach dem Bereitschaftsdienst eingeführt worden. Das Thema wurde diskutiert. Schwieriger war die zunehmende Diskrepanz zwischen Arbeitsauftrag, beginnender Kommerzialisierung und ständigen Rechtsbrüchen in Form von unbezahlten Überstunden. Als wir herausfanden, dass unsere Personalabteilung nach jedem Bereitschaftsdienst eine halbe Überstunde anstatt sie zu vergüten unter den Tisch hat fallen lassen, war klar, dass ich selbst aktiv werden musste.

Gemeinsam mit anderen Akteuren aus dem Gesundheitswesen waren Sie aktiv an der Entstehung des stern Ärzte-Appells beteiligt. Hierin fordern Sie eine Rückbesinnung auf die Heilkunst und kritisieren die zu hohe Bedeutung der Ökonomie in der Medizin. Welche Resonanz haben Sie von anderen Medizinern aber auch aus der Bevölkerung erhalten?
Die Öffentlichkeit und viele Kolleginnen und Kollegen haben das aktiv unterstütz. Die schweigende Mehrheit ist nach wie vor viel zu groß und viel zu schweigend.

Es wird viel über Ärzteunzufriedenheit und patientengefährdende Arbeitsbedingungen gesprochen und Verbesserungen gefordert. Warum schließen sich diesen Forderungen aber keine konkreten Maßnahmen zur systematischen Verbesserung an? Anders formuliert: Wird zu viel geredet und zu wenig gemacht?
Weder Politik noch Krankenkassen interessieren sich für die Menschen, die im Gesundheitswesen arbeiten, außer sie werden knapp. Personalentwicklungskosten sind bspw. nicht in der regelhaften Finanzierung von Krankenhäusern (DRG etc.) eingepreist. Dass am Personal gespart wird, interessiert ebenfalls keinen, solange die juristische Verantwortung bei Arzt bzw. Krankenpflege bleibt. Leider müssen wir Ärzte uns auch selbst an die Nase fassen. Viele Aktionen wurden von ärztlichen Organisationen ignoriert. Die 2012 an den Vorstand der Bundesärztekammer überwiesenen „Anforderungen an den ärztlichen Arbeitsplatz im Krankenhaus“ seien als Beispiel genannt. Sie wurden zwar an den Vorstand überwiesen und sind auch noch nachzulesen, aber nach wie vor nur teilweise in Tarifverträgen umgesetzt.

Warum tat sich die Politik in der Vergangenheit so schwer, die Rahmenbedingungen ärztefreundlicher zu gestalten? Denken Sie, dass in naher Zukunft die Rahmenbedingungen verbessert werden?
Die Politik denkt in anderen Dimensionen. Sie will die Versorgung neu aufstellen und möchte Krankenhäuser schließen. Da sie als Planungs- und Kontrollbehörden damit überfordert sind, soll das auf dem Weg des finanziellen Ausblutens durch unterfinanzierte DRGs geschehen. Wie es den Mitarbeitern geht, scheint sekundär zu sein.

Bei unveränderten Rahmenbedingungen: Wie können Arbeitsbedingungen konkret verbessert werden, wenn sich die Rahmenbedingungen nicht ändern?
Missstände dokumentieren, mit Kollegen und Vorgesetzten reden, sich organisieren (Assistentensprecher wählen), die Krankenhausleitung in die Verantwortung nehmen und Verbündete suchen (Marburger Bund, Ärztekammer, Personal- bzw. Betriebsrat).

Wie können diese Maßnahmen denn erzwungen oder zumindest eingefordert werden?
Der juristische Weg ist fast immer rau und mit persönlichen Konsequenzen und Zeitaufwand verbunden. Allerdings ist der Krankenhausarzt fast immer im Recht. Am besten ist es, eine Lösung selbst zu finden und dann mit juristischem und institutionellen Beistand das Krankenhaus zu adressieren. Ein Brief des Justiziars der Ärztegewerkschaft hilft oft. Und in Fragen der Weiterbildung ist es die Kammer, die berät und unterstützt.

Letztlich entscheiden die medizinischen und nicht-medizinischen Führungskräfte in Krankenhäusern über die Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen. Gab es in den letzten Jahren wirkungsvolle Anreize für Krankenhäuser, um die Motivation zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen zu erhöhen?
Bisher haben Politik oder Ärzteorganisationen meines Wissens nach Krankenhausentscheidern keinen systematischen Anreiz für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen geboten. Hauptgrund für Verbesserungen war der Ärztemangel, der die Verantwortlichen im Krankenhaus dazu bewegt hat, sich stärker um den Nachwuchs zu kümmern. Eine Nebenabrede o. ä. in einem Chefarztvertrag ist mir nicht bekannt. Gleichzeitig haben aber Erkenntnis über und Schulungen zur „Führung“ zugenommen.

Sie sprechen den Ärztemangel an. Aktuell sind Fachkräftemangel und eine junge selbstbewusste Ärztegeneration zentrale Themen, wenn es um Arbeitsbedingungen geht. Gab es je einen besseren Zeitpunkt für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen?
Da fällt mir nur das alte Sprichwort ein: Wenn nicht heute, wann dann? Wenn nicht wir, wer dann?

Warum glauben Sie, dass Treatfair zur Verbesserung von Arbeitsbedingungen führt?
Mit der Auflistung derer, die mit gutem Vorbild vorangehen, wird eine neue Transparenz erzeugt. Eine Transparenz über Arbeitsbedingungen, so wie sie erlebt werden, gibt einen enormen Antrieb, sich zu kümmern. Nun ist es für viele nicht mehr möglich, auf die früheren Zeiten der Ärzteschwemme mit ständigen Rechtsbrüchen zu verweisen, als ich noch junger Assistent war. Denn jetzt ist transparent einsehbar, wer sich wirklich Mühe gibt, nicht unbedingt welche Marketingabteilung das beste Employer Branding macht. Das schafft natürlich einen großen Anreiz, sich auch tatsächlich Mühe zu geben. Und was mir besonders gefällt: Es geht nicht um eine Klagemauer, sondern im Gegenteil, um gute Erfahrungen. Mehr davon!

Daniela Lojko