ÄRZTE IN FÜHRUNG - Die 3 Säulen des Führens

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Lernen Sie im Dialog mit Chefärzten praxisnah mehr über die Relevanz der drei Säulen Transparenz, Entscheiden und Selbststeuerung.

In der Ober- und Chefarztfunktion müssen Sie neben der medizinischen Versorgung auch die Führungsaufgaben in einer Krankenhausabteilung übernehmen. Sie stehen als Medical Leader für den Erfolg - und Misserfolg - der Abteilung. In einem Umfeld eines steigenden Ressourcenbewusstseins sind Sie Protagonist in einem Spannungsfeld zwischen Wirtschaftlichkeitsdenken und patientenorientierter Medizin. Eine große Bedeutung kommt für alle Medical Leader ihrer Funktion als Mediziner und Führungskraft zu. Unter dem zunehmenden ökonomischen Druck sind Sie nicht nur für eine Medizin auf qualitativ hohem Niveau verantwortlich, sondern müssen auch noch dafür Sorge tragen, dass Ihre Mitarbeiter möglichst produktiv sind. 

Dabei ist das Verständnis wichtig, dass sich das Umfeld und die Ansprüche geändert haben und weiter ändern werden. Manche Wünsche und Anforderungen jüngerer Mediziner sind für manche ältere Medical Leader beispielsweise kaum nachvollziehbar. Sich wie die Jüngeren heute über unbezahlte Überstunden zu beschweren, hätten viele in früheren Zeiten nie gewagt. 

Hier wird deutlich, wie wichtig es ist, auch seine Führungskompetenz weiterzuentwickeln. In der Führung von Mitarbeitern geht es nicht vorrangig um Sie als Führungskraft selbst, sondern darum, einen Rahmen zu schaffen, in dem Mitarbeiter motiviert arbeiten und die Ziele erreichen können. Für alle Medical Leader haben wir mit Chefärzten gesprochen und drei besonders wichtige Aspekte für eine erfolgreiche Mitarbeiterführung herausgegriffen und näher beleuchtet: Transparenz, Entscheidungsfähigkeit sowie Selbststeuerung.

Transparenz 

Gegenüber Patienten gehört es zum Handwerk eines Mediziners, zuzuhören, die Behandlung einfach und klar zu erläutern, Untersuchungsergebnisse einzuordnen und Optionen darzulegen. Ihre Ansprache, Ihre Werte und die transparente Schilderung der Situation machen Sie als Arzt im positiven Sinne für den Patienten berechenbar und darum vertrauenswürdig. 

Auch als Führungskraft gilt für Prof. Tobias Schilling (Stuttgart): „Man muss verlässlich sein in seinen Aussagen und seinem Handeln.“ Sie werden daran gemessen, wie Sie Ihren Mitarbeitern begegnen und wie Sie die Abteilung organisieren. Daher ist es an Ihnen, den Mitarbeitern transparent zu machen, welche Werte Ihnen in der Zusammenarbeit wichtig sind. Legen Sie Wert auf Pünktlichkeit, werden Sie sicher regelmäßig selbst pünktlich sein. Dann können Sie dasselbe auch von den Mitarbeitern einfordern. 

Ebenso gilt es, Ihre Ziele, Entscheidungsprozesse und Zwänge zu erklären, in einer Art und Weise, die der Zielgruppe und dem Zeitpunkt gerecht wird. Prof. Kai-Uwe Eckardt (Berlin) berichtet: „Nicht alles kann man transparent machen. Aber Entscheidungen, die man transparent machen kann, lassen sich in der Regel leichter umsetzen.“ Dies unterstreicht auch Dr. Tom Schilling (Wernigerode): „Es finden regelmäßig Gespräche statt, wo Vorschläge und Wünsche aus der Mitarbeiterrunde sehr offen diskutiert werden. Die Nutzung von Ideen und Vorstellungen aber auch Kritik aus dem ärztlichen Team ist für die Entwicklung der Abteilung aber auch für die Mitarbeitezufriedenheit nicht hoch genug einzuschätzen. Alle sollten das berechtigte Gefühl haben, Belange ihres ärztlichen Agierens mit beeinflussen bzw. zumindest kritisch kommentieren zu können.“ 

Mit diesem Format schafft Dr. Schilling nicht nur Transparenz über die eigenen Vorstellungen und den eigenen Handlungsspielraum. Er nutzt die Transparenz und den Dialog, um die Selbstwirksamkeit seiner Mitarbeiter zu fördern: Die Überzeugung, dass sie selbst dazu beitragen können, wie es ihnen geht. Denn Menschen mit hoher Selbstwirksamkeitserwartung zeigen höhere Resilienz und sehen Aufgaben eher als positive Herausforderungen an. Weil sie keine Energie auf Dinge verschwenden, die nicht zu ändern sind, sondern den eigenen Handlungsspielraum kennen und darin Dinge bewegen können.

Entscheidungen treffen 

Auf die offene Frage, was er als Chefarzt neu dazulernen musste, sprach Prof. Hüseyin Bektas (Bremen) das Thema Entscheiden an. Er musste lernen, als „letzte Instanz“ Entscheidungen zu treffen und diese „klar zu formulieren und zu adressieren“. Dabei sind die Entscheidungen nicht mehr nur medizinischen Inhalts, sondern betreffen - für viele Medical Leader erstmals - Personal, Struktur und Organisation. In Anlehnung an das Gedankenkonstrukt der VUCA Welt nimmt die Komplexität der Fragestellungen zu. Häufig lässt sich nicht klar vorhersagen, welche Konsequenzen eine Entscheidung mit sich bringt. Lösungen sind seltener eindeutig. Führen wir uns vor Augen, welche Fähigkeiten Mediziner in eine leitende Rolle bringen, stellen wir fest, dass oft in erster Linie die medizinische Expertise ausschlaggebend ist. Dieser Kontext und die Vielzahl der täglichen Entscheidungen, die Sie in Ihrer Führungsrolle treffen, zeigt die Wichtigkeit der Entscheidungskompetenz. Auch ist es für Sie unabdingbar, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, welche Entscheidungen Ihre Aufmerksamkeit benötigen und welche Sie delegieren können und müssen, um zugleich Ihrer Arzt- und Führungsrolle gerecht zu werden.

 
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Dazu möchten wir Ihnen das Konzept des „delegation pokers“ vorstellen, mit dem sich spielerisch Entscheidungs- und Verantwortungssituationen im Team klären lassen. Es werden hierbei sieben Delegationsgrade in einem Entscheidungsprozess unterschieden.

 

Die Spanne reicht von „Verkünden“, bei dem Sie als Führungskraft allein entscheiden und sich auch nicht erklären, bis zum konsequenten „Delegieren“, bei dem das Team autonom entscheidet. Im delegation poker äußert jeder Mitarbeiter sowie die Führungskraft den gewünschten Delegationsgrad einer Entscheidung (z. B. Schichtplaneinteilung), ohne über den Inhalt der Entscheidung selbst zu diskutieren. Im zweiten Schritt bespricht das Team die unterschiedlichen Sichtweisen und legt gemeinsam den Delegationsgrad fest. Das führt dazu, dass die spätere Entscheidung von allen akzeptiert wird. Sie werden möglicherweise überrascht sein, in welchen Situationen Ihre Mitarbeiter sich explizit wünschen, dass Sie selbst entscheiden und ihnen nur die Hintergründe für die Entscheidung erläutern. Ein positiver Nebeneffekt dieses Führungsinstrumentes ist, dass sich Mitarbeiter in die Gestaltung von Entscheidungsprozessen involviert fühlen. Es fördert das Entstehen einer positiven Entscheidungs- und Fehlerkultur, weil Verantwortlichkeiten klar benannt sind. Das hilft für das Wirksamkeitserlebnis der Mitarbeiter und ist ein Schritt hin zur abgeflachten Hierarchie, die von jüngeren Medizinern häufig gefordert wird.

Selbststeuerung 

Als Medical Leader sind Sie von Menschen mit einer Vielfalt von Charakteren, Fähigkeiten und Erfahrungen umgeben. Dies führt dazu, dass ein Mitarbeiter vielleicht auf andere Art und Weise, aber dennoch zum Ziel kommt. Falls Sie beispielsweise zur Perfektion neigen, wird es Sie als Führungskraft und Ihre Mitarbeiter unweigerlich frustrieren, wenn Sie diesen Anspruch durchgängig auf alle Mitarbeiter und Aufgaben übertragen. Prof. Eckardt verriet uns, dass auch er in seiner frühen Phase als Chefarzt „lernen musste, sich mit nicht-perfekten Lösungen zufrieden zu geben“. 

Vor diesem Hintergrund profitieren Sie davon, wenn Sie Ihre eigenen Automatismen verstärkt wahrnehmen. Denn: Führen beginnt damit, sich selbst zu führen. Das in diesem Kontext häufig genannte Konzept der Achtsamkeit ist nicht neu. Es bedeutet, dass Sie bewusst wahrnehmen, was die aktuelle Situation in Ihnen auslöst, ohne dies aber direkt zu bewerten. So können Sie Automatismen erkennen und verfallen weniger häufig in Ihre wiederkehrenden – guten oder schlechten – Verhaltens- und Denkweisen. Mit diesem Wissen können Sie auch Mitarbeitern transparent machen, was Ihnen wichtig ist und in Situationen bewusst agieren – anstatt sich von eigenen Emotionen steuern zu lassen. Ein Beispiel: In der Regel können wir Zeit und Ort beeinflussen, zu der wir kommunizieren. Sind wir achtsam, nehmen wir z. B. wahr, dass der Mitarbeiter, den wir gerade im Flur angehalten haben, gehetzt wirkt und nicht aufnahmefähig ist. Je nachdem wie dringlich unser Gesprächsbedarf ist, können wir darauf reagieren und ihn bitten, sich trotzdem Zeit zu nehmen, oder uns später aufzusuchen. Sind wir selbst in Hektik, laden wir ungeachtet dessen unsere Nachricht ab und riskieren, dass sie verloren geht. Aus eben diesem Grund gibt es für regelmäßigen Kommunikationsbedarf klare thematische Formate wie die Schichtübergabe. Alle Teilnehmenden kennen Ziel und Zweck des Termins und sind „mit dem Kopf bei der Sache“. Aber selbst ein akuter Konflikt kann vom Flur in ein ruhigeres Setting und ggf. auf einen späteren Zeitpunkt verlegt werden. 

Eine achtsame Führungskraft realisiert zudem, dass andere Ähnliches erleben, und kann sich gezielt mit Vertrauten oder Kollegen austauschen, um sich Anregungen zu einer (Führungs-)Situation zu holen. Die kollegiale Beratung auch in Führungsfragen zu nutzen, ist aus Sicht von Prof. Schilling (Stuttgart) eine bislang leider wenig genutzte Ressource: „Ich habe häufig Anfragen von jüngeren Chefärzten, die meinen Rat wollen. Ich biete das auch ganz bewusst an. Allerdings geht es hier fast ausnahmslos um den Umgang mit der Geschäftsführung oder Chefarztkollegen, also eher um strategische Fragen. Führungsprobleme werden hier fast nie thematisiert, was ich sehr schade finde. Das Führen der Mitarbeiter ist m. E. das Fundament und die Voraussetzung einer erfolgreichen chefärztlichen Tätigkeit.“

Mut zu neuen Wegen 

Wie für die medizinische Kompetenz, die Sie erworben haben und die Sie tagtäglich weiterentwickeln, gilt auch für die Führungsfähigkeiten: Man lernt nie aus. Es lohnt sich für Sie persönlich sowie auch für den Erfolg Ihres Krankenhauses, sich mit den Säulen der Führung auseinanderzusetzen, neue Führungsinstrumente zu entdecken und diese für sich selbst auszuprobieren. Wie eingangs diskutiert, erfordern häufig auch äußere Umstände, den eigenen Führungsstil anzupassen. Der Blick auf Kollegen in einer ähnlichen Situation und der regelmäßige Austausch können dabei hilfreich sein, weil Menschen in ihrem Führungsstil andere Schwerpunkte setzen. Beispielsweise legt das Führungsteam um Dr. Markus Winter (Blaubeuren) Wert auf eine offene, ehrliche Kommunikation und ist bestrebt, die Mitarbeiter in wichtige, die Abteilung betreffende Entscheidungen einzubeziehen. Darüber hinaus ist es ihnen aber auch wichtig, den Mitarbeitern die Freude an der ärztlichen Tätigkeit am Patienten zu vermitteln. Denn Dr. Winter ist davon überzeugt, „dass dies auch bei unseren Patienten ankommt“. 

Interessante Impulse für Ihre persönlichen Führungsfragen können Sie zudem in anderen Ländern, Branchen und sogar Alltagssituationen entdecken. Wir möchten Sie ermutigen, in einer Umgebung von Komplexität und Ungewissheit neue Wege zu gehen und sich eine Konstante in Ihrer Tätigkeit als Medical Leader zu erarbeiten: die Fähigkeit, sich selbst und Ihre Mitarbeiter so zu führen, dass Sie und Ihr Team gemeinsam den Arbeitsalltag bestmöglich gestalten können. 

Stella Smiljkovic & Benedict Carstensen