SINNHAFTIGKEIT WIE NIE ZUVOR MIT ÄRZTE OHNE GRENZEN

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Eine junge Ärztin berichtet von ihrem Einsatz mit Ärzte ohne Grenzen im Südsudan. Die in Deutschland als Gefäßchirurgin und Notärztin tätige Katharina von Goldacker ist zunächst überwältigt von den Zuständen in dem vom Bürgerkrieg gezeichneten Land. Doch schnell lernt sie, was sie der großen Not entgegensetzen kann.

„Meine ersten Momente im Ärzte-ohne-Grenzen- Krankenhaus in der kleinen Stadt Lankien überwältigen mich: Alles ist völlig anders, als ich es aus Deutschland kenne. Die Klinik besteht aus einfachen Wellblechbauten und Lehmhäusern. Bis zu 20 Betten stehen in einem einzigen Raum eng an eng nebeneinander, dazwischen legen sich nachts die pflegenden Angehörigen zum Schlafen auf den Boden. Es ist laut und voller Gerüche. Hinzu kommen die Hitze, die vielen Moskitos und Heuschrecken, vereinzelt auch Katzen und Igel, die sich auf die Krankenstationen schleichen.

Aber schon bald wird all das normal und selbsverständlich für mich. Ich gewöhne mich schnell daran, dass ich die medizinische Arbeit auf mehreren Stationen anleite und mein Aufgabenspektrum riesig ist. Die Menschen kommen mit allen möglichen Erkrankungen zu uns. Denn unser Krankenhaus ist die einzige Gesundheitseinrichtung weit und breit – für mehr als eine Viertelmillion Menschen. Ich behandle Patienten mit Malaria, Tuberkulose, HIV oder auch Tropenkrankheiten, die mir hier zum ersten Mal begegnen, wie Kala-Azar. Ich nehme zahlreiche mangelernährte Kinder auf. Eine Zeit lang ist unsere Intensivstation voll belegt mit kleinen Patienten, die lebensbedrohlich erkrankt an Lungenentzündung leiden. Jederzeit kann mich die Notaufnahme rufen. Dann sprinte ich dorthin und versuche, mir innerhalb von Minuten einen Überblick zu verschaffen.

Von Enthusiasmus erfüllt

Viele meiner Patienten sind schwer krank, besonders viele Babys und Kleinkinder. Aufgrund ihres oft schlech- ten Ernährungszustands sind auch simple Infekte für sie schnell gefährlich. Doch jeden Tag erlebe ich, wie wir mit den einfachen Mitteln, die wir hier haben, für ganze Familien einen riesigen Unterschied machen: oft genügen schon Antibiotika, Bluttransfusionen, therapeutische Fertignahrung oder Impfungen. Und wenn ich dann einen Patienten gesund entlassen kann, empfinde ich ein Hochgefühl, das mich antreibt und mit Enthusiasmus erfüllt. Ich erlebe hier eine Sinnhaftigkeit während meiner Arbeit wie noch nie zuvor. Tatsächlich freue ich mich jeden Morgen, wenn ich mein Ärzte-ohne-Grenzen-Shirt anziehe. Dieses Gefühl, dass ich hier genau das tue, was ich immer machen wollte, hilft mir nach vorne zu schauen - auch an Tagen, die besonders hart und anstrengend sind.

Doch ich muss auch lernen zu akzeptieren, dass unsere medizinischen Möglichkeiten unter den Bedingun- gen in Lankien begrenzt sind. Bei chronischen Krankheiten wie Bluthochdruck, Epilepsie oder Diabetes können wir nur wenige Therapien anbieten. Wir können keine Dialyse machen, haben keinen Operationssaal und können Notfälle nur mit dem Hubschrauber in eines unserer größeren Krankenhäuser im Land verlegen. Wenn ich nicht helfen kann, obwohl ich genau weiß, was zu tun wäre, ist das schwer zu ertragen. Doch das Schlimmste ist, wenn ich das Leben eines Kindes nicht mehr retten kann. Da habe ich auch schon mitten auf der Intensivstation gestanden und geweint.

Geborgenheit geben

In solchen schwierigen Momenten bin ich froh über den Zusammenhalt in meinem Team, das wie eine kleine Ersatzfamilie ist. Mit meinen internationalen Kollegen wohne ich direkt auf dem Krankenhausgelände, denn nach Jahren des Bürgerkriegs ist die Sicherheitslage angespannt und wir dürfen das Gelände nur selten verlassen. Ich bewohne eine kleine Lehmhütte, mein Tukul, das zu einem richtigen Zuhause geworden ist. Diese Geborgenheit, die ich hier fühle, versuche ich, an meine Patienten weiterzugeben. Zwar kann ich mit den meisten nur mithilfe unserer Übersetzer sprechen, doch kann ich mit kleinen Gesten vermitteln, dass ich für sie da bin und mein Bestes gebe, um ihnen zu helfen. Ich setze mich an ihr Bett, spreche ganz ruhig, scherze mit den Kindern, halte ihre Hand. Der kleine Makher zum Beispiel kam schwer mangelernährt und mit hohem Fieber zu uns. Seine Mutter hatte ihn sieben Stunden zu Fuß in unsere Klinik getragen. Wir versorgten ihn mit Medikamenten, Spezialmilch und kalorienreicher Paste. Anfangs war er apathisch, konnte nicht mal mehr sitzen und hatte große Angst vor mir. Ich habe ihn immer angelächelt und bei der Visite mit ihm gesprochen. Auch zu seiner Mutter habe ich ein vertrauensvolles Verhältnis aufgebaut. Irgendwann hat Makher zum ersten Mal zurückgelächelt.

Katharina von Goldacker scherzt auf der Kinderstation von Ärzte ohne Grenzen mit dem kleinen Makher. (Bild: Peter Bräuning)

Katharina von Goldacker scherzt auf der Kinderstation von Ärzte ohne Grenzen mit dem kleinen Makher. (Bild: Peter Bräuning)

An der Seite von Nyajuok

Die Menschen, denen ich hier begegne, beeindrucken mich sehr. Viele Südsudanesen haben Furchtbares durchgemacht, in einem Land, in dem bewaffnete Gruppen jahrelang unerbittlich um die Macht gekämpft haben und in dem die Gewalt gegen Zivilisten anhält. Und doch meistern die Menschen jeden Tag mit viel Kraft und Stärke. Gerade vor den jungen Frauen, in die ich mich ja hineinversetzen kann, empfinde ich großen Respekt. Ich denke zum Beispiel an meine Kollegin Nyajuok Thot Tap, die – obwohl sie im achten Monat schwanger ist – weiterhin jeden Tag für Ärzte ohne Grenzen in die Dörfer fährt, Patienten aufsucht und über Gesundheitsthemen informiert. Seit Nyajuok schwanger ist, nimmt sie an unseren umfassenden Vorsorgeuntersuchungen teil. Eine sichere Schwangerschaft und Geburt zu erleben, ist im Südsudan keine Selbstverständlichkeit – die Müttersterblichkeit ist eine der höchsten weltweit. Ich bin froh, dass ich Nyajuok in dieser Zeit zur Seite stehen kann. Gestern haben wir bei ihr eine Ultraschalluntersuchung gemacht und sie konnte zum ersten Mal ihr Baby sehen. Ich habe ihr das Gesichtchen gezeigt und, dass das kleine Herz stark schlägt. Das ist immer ein ganz besonderer Moment. Hier in Lankien rührt er mich besonders. Denn ich weiß, dass wir mit unserer Hilfe das Leben vieler Mütter und ihrer Babys retten.”

Katharina von Goldacker

Nachhaltig von ihren Erfahrungen im Südsudan geprägt plant Katharina von Goldacker gerade weitere Einsätze mit Ärzte ohne Grenzen.

Fotos: Peter Bräunig

Daniela Lojko