UMBRUCH OHNE GENICKBRUCH - CHANGEKOMPETENZ FÜR MEDICAL LEADER

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Das Team im Wandel erfolgreich führen

Ein Gastbeitrag von Philipp Andresen, Institut für Unternehmensgesundheit

Online-Workshops zum Thema Change Management

Dr. Malte Schwarz, geriatrischer Chefarzt eines sächsischen Regelversorgers, versteht die Welt nicht mehr. Vor vier Monaten hat er seine neue Stelle unter der Maßgabe angetreten, dass er an der Klinik ein alterstraumatologisches Zentrum (ATZ) aufbauen kann. Zusammen mit der Unfallchirurgie erarbeitet er mit großer Begeisterung, seiner gesammelten Expertise und großem Engagement einen detaillierten Projektplan. Umso irritierter ist Dr. Schwarz, dass er mit der Begeisterung für das ATZ in seinem Oberarztteam plötzlich allein dasteht. Aus der Leitungsbesprechung, in der er gerade den Projektplan präsentiert hat, kommt ausschließlich Gegenwind: Die Reaktionen reichen von betroffenem Schweigen bis zu – teils sehr emotional vorgetragenen - Gegenargumenten: „So etwas funktioniert bei uns nicht…“; „zuviel Aufwand - wir können den Stationsbetrieb doch so schon kaum aufrecht erhalten…“; „ich werde auf keinen Fall in andere Räumlichkeiten wechseln…“. Seine gut durchdachten und fachlich präzisen Begründungen verhallen weitgehend ungehört.  

Dieses kurze Beispiel zeigt auf, dass organisatorische und fachliche Kompetenz meist nicht ausreicht, um Veränderungsprojekte erfolgreich umzusetzen. Vielmehr lösen diese in der Regel komplexe emotionale und soziale Reaktionen aus, die in der Projektsteuerung berücksichtigt werden müssen. Eine gute ‚Landkarte‘ dieser Reaktionen und deren chronologisches Aufeinanderfolgen bietet das Phasenmodell von Richard K. Streich. Das Modell verdeutlicht zum einen, dass Menschen hinsichtlich für sie gravierender Umbrüche einen kognitiven und emotionalen Verarbeitungs- und ‚Verdauungsprozess‘ durchlaufen, zu dem es keine Abkürzung gibt. Und zum anderen zeigt die Kurve auf, dass sich ein Team in den verschiedenen Phasen auch sehr unterschiedlich kompetent fühlt.

 
Abbildung I: Stimmungskurve nach R.K. Streich

Abbildung I: Stimmungskurve nach R.K. Streich

 

Das Modell zeigt einen idealtypischen Verlauf, von dem die Praxis sich meist etwas abhebt und der auch nicht von allen Mitgliedern eines Teams synchron durchlaufen wird – trotzdem sind die meisten Phasen auch im Alltag wiederzuerkennen. Die Aufgabe von Führung ist es in diesem Kontext, ein Team geschickt durch diese Phasen zu navigieren. Neben ausgeprägter sozialer und kommunikativer Kompetenz setzt dies aus unserer Erfahrung voraus, dass die projektverantwortliche Führungskraft ihren Mitarbeitenden im Verarbeitungsprozess gewissermaßen ‚voraus‘ ist und nicht selbst in eigenen negativen Emotionen gefangen ist. Hier einige Impulse, wie Führungskräfte ihr eigenes Team in den verschiedenen Phasen unterstützen können.

1.       Die Ankündigung der Veränderung - „Wir wissen von nichts…“

Einer der größten Fallstricke im Veränderungsmanagement ist es, zu wenig und ohne klaren Fokus zu kommunizieren. Das beginnt bei der ersten Ankündigung einer Veränderung. Die Aspekte, die zu einer stimmigen Veränderungsgeschichte, der ‚Change-Story‘ gehören, lassen sich unter drei Fragenstellungen zusammenfassen: Warum? Was? und Wie? In der Abbildung II sind die wichtigsten Themen aufgeführt, die sich jeweils darunter subsummieren lassen. Aus unserer Erfahrung kommt oft das ‚Warum?‘, die Sinnstiftung zu kurz. Damit wird die Chance verspielt, dass die Kolleg*innen eine intrinsische Motivation entwickeln, den Wandel mitzutragen und zu gestalten.

 
Abbildung II: Anspruchsvolle Veränderungen ankündigen

Abbildung II: Anspruchsvolle Veränderungen ankündigen

 

2.       Schock - "Wir können es gar nicht fassen…“

Nachdem die ‚Katze aus dem Sack‘ ist, reagiert ein Team je nach Temperament und Schwere der Veränderung mit Unverständnis, Aggression, Angst vor der neuen Situation oder einer Art sprachlosen Schockstarre. Hier gilt es, den Emotionen zunächst Raum zu geben und diese als natürlichen Teil des Veränderungsprozesses aufzufassen. Als Leitung ist es dabei hilfreich, erst einmal zuzuhören, Verständnis zu zeigen und dem Team Raum zu geben, sich zu artikulieren und wieder ‚sprechfähig‘ zu werden. Eine typische Führungsfalle in dieser Phase ist es, die Veränderung auf der Sachebene zu sehr ‚verkaufen‘ zu wollen – anstatt den vorherrschenden Emotionen Raum zu geben. Das verstärkt oft den Widerstand, statt ihn zu überwinden.

3.       Abwehr/Ignoranz – „Nicht mit uns….“

Diese Phase ist oft gekennzeichnet von einem ‚Weiter so wie bisher…‘ indem die Veränderung ignoriert wird oder einem kollektiven ‚Nicht mit uns...‘, mit dem sich ein (Teil-)Team solidarisch gegen die Neuerung stellt. In dieser Abwehr oder Ignoranz fühlt sich das Team subjektiv wieder stark und kompetent, da es der Illusion erliegt, den Wandel so aufhalten oder aus dem Weg gehen zu können. Als Führungskraft ist es hier vor allem wichtig, mit dem Team in Kontakt und im Austausch zu bleiben. Dabei hilft die Erkenntnis, dass ein Team meist nicht homogen ist, sondern dass sich Mitarbeitende parallel in ganz unterschiedlichen Phasen befinden. Diese Dynamik kann ich mir als Führungskraft zunutze machen, in dem ich auch konstruktive Stimmen zu Wort kommen lasse. Häufig ist eine Chancen-Risiko-Analyse hilfreich, um die Diskussionen zu versachlichen. Auch hier ist es eher kontraproduktiv, zu offensiv für die Veränderung zu argumentieren, weil genau das oft die Reaktanz vergrößert.

4.       Resignation/Rationale Einsicht – „Mit uns wird ja eh gemacht…“

Wenn die Einsicht Oberhand gewinnt, dass die anstehende Umgestaltung trotz aller Ablehnung umgesetzt wird, verfallen Teile des Teams oft in eine gewisse Resignation, daher wird diese Phase auch das ‚Tal der Tränen‘ genannt: Der Wandel ist unausweichlich, aber das Alte und Bewährte kann noch nicht richtig losgelassen werden. Das Neue hingegen ist noch nicht greifbar, unsicher und eher bedrohlich. In dieser Phase ist es hilfreich, dem Team Mut zuzusprechen, an vergangene Erfolge und Leistungen zu erinnern und – gerade auch kritischen Kolleg*innen – erste Mitgestaltungsmöglichkeiten anzubieten. So werden ‚Betroffene zu Beteiligten‘. Mitunter brauchen einzelne Mitarbeitende eine gezielte Unterstützung im Einzelgebräch, um für sich eine Perspektive unter den neuen Rahmenbedingungen zu sehen. Insgesamt geht es hier darum, eine kritische Masse für einen konstruktiven Umgang mit der Veränderung zu gewinnen und das Team zu stärken. 

5.       Akzeptanz – „Schauen wir mal…“

Auf dem Tiefpunkt der Stimmungskurve erwächst die Chance für einen Umschwung: Das Team ist bereit, den Blick nach vorne zu richten und den notwendigen Wandel auch emotional zu akzeptieren. Diese Bereitschaft kann die Führungskraft unterstützten, indem sie das Team bei der Umsetzung und Ausgestaltung der Veränderung einbindet und so die gemeinsame Aufmerksamkeit in Richtung Zukunft lenkt.  

6.       Probieren/Lernen – „Lasst es uns versuchen – wir machen das Beste draus…“

Wird das Neue greifbar und erfahrbar, steigt die Stimmung und das Kompetenzerleben des Teams wieder spürbar an, allerdings nicht linear, sondern mit kleineren Rücksetzern und Schwankungen, da bei komplexen Neuerungen nie alles adhoc funktioniert. Hier kann die Führungskraft unterstützen, indem Rückschläge als „normale“ Begebenheiten beim Lernen eingestuft werden und der Umsetzungsprozess immer wieder in Reflexionsschleifen evaluiert wird. Insgesamt braucht das Team in dieser Phase Räume zum Ausprobieren und Lernen sowie Anerkennung, Ermutigung und eine fehlerfreundliche Teamkultur. 

7.       Integration in den Alltag – „Wir haben es gemeinsam geschafft…“

Im Idealfall führen der Umsetzungsprozess und die kontinuierlichen Lernerfahrungen dazu, dass die Neuerung als selbstverständlicher Bestandteil des Alltags gelebt wird und das Team durch die bewältigte Herausforderung an Kompetenz gewonnen hat. Hier ist es wichtig, das Neue in fixen Strukturen und Prozessen zu etablierten sowie den Erfolg zu würdigen und zu feiern.

Auch wenn es eine Reihe weitere wichtiger Erfolgsfaktoren gibt, zeigt das Modell auf, wie wichtig die kulturelle, soziale und emotionale Komponente beim Changemanagement ist. Um dieser gerecht zu werden, braucht es vor allem immer wieder Kommunikationsräume, die von der Führungskraft aktiv gestaltet werden müssen. Die normale Regelkommunikation reicht dafür bei komplexen Projekten nicht aus. Studien zeigen seit Jahren auf, dass ein Großteil aller Change-Projekte scheitern – meist an den Menschen, die nicht richtig informiert, mitgenommen und eingebunden werden.

Georg Kubina